Merle, D-Lokus und mehr
Das Merle-Gen ist das umstrittenste Fellfarben-Gen beim Hund. Es erzeugt eine reizvolle Fellzeichnung – die in bestimmten Fällen allerdings mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergeht.
Genetische Grundlagen
Merle wird durch eine Genveränderung im Silver-Gen (SILV, PMEL17) verursacht. Das für die Merle-Färbung verantwortliche defekte SILV-Gen wird mit M abgekürzt, während das normale SILV-Gen mit N abgekürzt wird.
M ist unvollständig dominant: Im heterozygoten Zustand N/M führt es zu der Merle-Zeichnung, die je nach der sonstigen Farbgen-Ausstattung des Hundes zu dem charakteristischen Merle-Muster führt. Bei einem schwarzen Hund sind dies unregelmäßig zerrissen wirkende schwarze Flecken auf grauem Grund, bei einem chocolate Hund sind die Flecken braun, die Grundfarbe ein aufgehelltes Braun. Bei einem gelben oder rötlichen Hund ist die Merle-Zeichnung oft kaum oder gar nicht erkennbar – dazu weiter unten mehr.
Wildfarbigkeitsabzeichen und Weißscheckung werden von der Merle-Zeichnung nicht beeinträchtigt, ein merlefarbiger Hund kann also auch weiß gescheckt sein und/oder rote Abzeichen haben (typische etwa beim Blue Merle Collie). Merlefarbige Hunde haben oft ein oder zwei blaue oder blaugesprenkelte Augen. Reinerbige Merle-Hunde (also Genotyp M/M) zeigen meist eine großflächige Weißscheckung mit vereinzelten asymmetrischen Farbflecken. Diese homozygoten Tiere werden auch Weißtiger oder „double merle“ (englisch für „doppeltes merle“) genannt, sie haben außerdem meist blaue Augen. Dieser Genotyp ist in sehr vielen Fällen mit gravierenden Fehlentwicklungen der Sinneszellen verbunden. „double merle“ sind häufig ein- oder beidseitig taub, oft kommt es auch zu Augenmissbildungen und Blindheit. Es kann mitunter schwierig sein, einen „double merle“ (M/M) rein optisch von einem mischerbigen Merle (N/M) zu unterscheiden. Vor allem, wenn ein N/M-Merle zusätzlich ein Gen für Weißscheckung trägt und man die Genkonstellation seiner Elterntiere nicht genau kennt, kann es zu Verwechslungen kommen. Vor allem bei Rassen mit stark verbreiteter Weißscheckung (also auch beim Havaneser) kann dies zu einem Problem werden, wenn von Züchterseite zu wenig Augenmerk auf dieses Problem gerichtet wird.
Vorkommen
Die Merle-Zeichnung ist keine „moderne“ Züchtung – sie ist schon seit Jahrhunderten bekannt. Interessanterweise kommt dieser Farbschlag vor allem bei Gebrauchsrassen vor – allerdings nur in der mischerbigen Variante. Merlefarbene Hunde sind bei fast allen britischen Hütehundrassen bekannt (am häufigsten wohl der Blue Merle-Collie und –Sheltie, aber auch
der Border Collie, Bobtail, Cardigan Corgi kommen in Merle vor). In Deutschland gibt es den so genannten Tiger, der einen Schlag des Altdeutschen Hütehundes darstellt. Auch Frankreich hat etliche merlefarbige Hütehunde: Beauceron, Pyrenäenschäferhund, Berger du Larzac, Berger de Savoie. In Italien gibt es den Bergamasker. Einige dieser Rassen sind lokale Gebrauchsschläge, die außerhalb ihrer Region unbekannt und nicht offiziell anerkannt sind. Andere, wie der Australian Shepherd, haben weltweite Verbreitung erreicht, sind teilweise richtige Moderassen. Auch unter den Jagdhunden kommt das Merle-Gen vor: Der norwegische Dunkerhund ist ein typischer merlefarbiger Jagdhund. Auch der englische
Foxhound kommt in Merle vor, ebenso der Dackel. Eine weitere Rasse ist der Catahoula Leopard Dog aus dem amerikanischen Louisiana. Er wird sowohl zur Wildschwein- und Waschbärjagd als auch zum Treiben von Rinderherden eingesetzt. Schließlich gibt es Deutsche Doggen mit dem Merle-Faktor. Bei diesen gibt es eine in der Hundewelt einzigartige Besonderheit: Beim Harlekin-Farbschlag sind die Flecken schwarz auf weißem Grund. Neuerdings sieht man merle auch bei vielen anderen Rassen, bei denen diese Farbe eigentlich gar nicht vom FCI-Standard zugelassen ist, unter anderem beim
Chihuahua, beim Zwergspitz, bei der Französischen Bulldogge und eben auch beim Havaneser – bei all diesen Rassen ist der Farbschlag allerdings sehr umstritten (mehr dazu weiter unten).
Zuchtregulierung
Wie bereits eingangs erwähnt, ist der reinerbige „double merle“ (M/M) häufig mit schweren gesundheitlichen Einschränkungen behaftet. Aus diesem Grund ist die Verpaarung von Merle-Hunden untereinander strikt abzulehnen. Bei allen Hunderassen, bei denen der Merle- Schlag schon länger bekannt und verbreitet ist, ist die Verpaarung von Merle-Hunden untereinander untersagt. Ebenso untersagt ist die Verpaarung von Merle mit Hunden heller Fellfarben wie Gelb, Rot, Creme etc. Beim Collie etwa dürfen nur Tricolor und Blue Merle verpaart werden, Sable und Blue Merle hingegen nicht. Aus der Verpaarung von Sable und Blue Merle können nämlich Sable-Merle Hunde fallen, denen man – vor allem bei
langhaarigen Hunden – im erwachsenen Alter oft nicht mehr ansieht, dass sie die Merle- Zeichnung haben. Würde man nun einen Sable-Merle (den man irrtümlich für einen Sable hält) mit einem Merle verpaaren, so besteht die Gefahr, dass dabei „double merles“ entstehen. Aus diesem Grund dürfen auch Harlekindoggen nur mit schwarzen, nicht aber mit gelben Doggen verpaart werden. Die meisten Rassen, bei denen Merle vorkommt, gibt es nur in einer relativ begrenzten Farbauswahl. Bei Rassen, bei denen alle Farben und Farbkombinationen vom Standard zugelassen sind, kann es unter Umständen schwierig sein, in dieser Hinsicht den Überblick zu behalten. Genau das wäre auch beim Havaneser vorprogrammiert: Hier sind zwar prinzipiell alle Farben zulässig, die Merle-Farbe ist allerdings relativ spät in der Zuchtgeschichte aufgetaucht. Es gibt keine historische Belege für merlefarbene Havaneser, und so liegt es nahe, dass Merle beim Havaneser durch Einkreuzung in die Rasse gebracht wurde.
Kryptisches Merle und Phantom Merle
Das kryptische Merle bezeichnet Hunde, bei denen ein etwas verkürztes Merle-Gen vorliegt. Solchen Hunden sieht man die Merlezeichnung optisch meist nicht an, oder es befindet sich nur ein ganz kleiner Merle-Fleck auf dem Hund. Dieses kryptische Merle-Gen kann allerdings zum „vollständigen“ Merle-Gen zurückmutieren und darum bei einer Verpaarung mit eine anderen Merle-Hund ebenfalls zu „double merles“ mit den weiter oben genannten Missbildungen führen.
Mit Phantom Merle bezeichnet man Hunde, die zwar genetisch Merles sind, bei denen die Merle-Zeichnung aber von anderen Farben „überlagert“ wird. Typische Beispiele sind etwa cremefarbene, goldene, gelbe oder rote Hunde. Bei diesen ist die Bildung von schwar oder chocolate Pigment unterdrückt. Da sich der Merle-Faktor jedoch nur auf schwarzem
(oder chocolate) Pigment ausprägen kann, sieht man es den creme, golden, gelben und roten Hunden nicht an, dass sie merle sind. Auch bei Hunden mit einer extrem ausgeprägten Weißscheckung (Extremschecken) ist oft kaum oder gar nicht zu erkennen, ob ein Hund genetisch merle ist. Und auch bei Farben wie sable oder gestromt ist die Merle-Zeichnung oft
kaum bis gar nicht zu erkennen. Havaneser kommen in vielen verschiedenen Farben vor. Die Gefahr ist nun, dass die Merle-Zeichnung bei einem Hund, der z.B. gelb, creme, gestromt oder extrem weißgescheckt ist, nicht als solche erkannt wird. Wird nun ein solcher „verborgener“ Merle mit einem anderen Merle verpaart, so kann es zur Geburt von missgebildeten „double merles“ kommen. Bei allen Rassen, bei denen nicht nur schwarze, chocolate oder black-and-tan Hunde vorkommen, wird also vor der Verpaarung eines Merle- Hundes dringend ein Gentest des Zuchtpartners empfohlen, um die Geburt von double Merles zu verhindern. Die Verpaarung zweier Merle-Hunde (auch wenn dies unbeabsichtigt geschah), ist gesetzlich verboten.
Rechtliches
Die Verpaarung zweier Merle-Hunde miteinander fällt unter § 11 b Tierschutzgesetz, den so genannten Qualzuchtparagraphen und ist somit gesetzlich verboten. Im Wortlaut besagt dieser Paragraph: Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten (…), (…) züchterische Erkenntnisse (…) erwarten lassen, dass als Folge der Zucht (…) bei der Nachzucht (…) erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten (…).
Gentest
Seit wenigen Jahren ist die genetische Grundlage des Merle-Faktors bekannt, mittlerweile wird auch ein kommerzieller Gentest angeboten. Dieser wird vor allen bei Rassen empfohlen, bei denen es viele helle Farbschläge gibt, denen man Merle nicht ansieht (also etwa creme, weiß gescheckt, gelb, gold, rot, sable etc.) – wie eben beim Havaneser. Bisher war es so, dass
die breite Farbpalette in dieser Rasse, in der keinerlei Zuchteinschränkungen hinsichtlich der Farbe bestand, auch zu einer breiten genetischen Basis geführt hat. Geht man von einer Verbreitung des Merle-Gens in der Rasse aus, so fallen mögliche Zuchtpartner eventuell auf Grund der Färbung aus. Für andere Färbungen wäre es empfehlenswert oder sogar
verpflichtend nötig auf Merle zu testen, um unbeabsichtigte Merle x Merle Verpaarungen auszuschließen.
Neben dem Merle-Faktor gibt es noch zwei weitere Farbgene, die unter Umständen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können: Die Extremscheckung und der Dilute-Faktor.
Extremscheckung und Taubheit
Die Weißscheckung entsteht durch eine verzögerte bzw. unterdrückte Auswanderung der Pigmentzellen in die Haut während des Embryonal- und Fetalstadiums. Auch im Innenohr befinden sich Pigmentzellen, die für die Schallweiterleitung wichtig sind. Man vermutet eine Zusammenhang zwischen dem Fehlen dieser Pigmentzellen und dem Auftreten von Taubheit bei Hunden mit einer ausgedehnten Weißscheckung. Bislang ist noch kein Gentest explizit für die Taubheit verfügbar, es wird aber daran geforscht. Man geht aber davon aus, dass das Ausmaß einer Weißscheckung in Verbindung mit dem Auftreten von Taubheit steht. So konnte in einer Studie bei diversen Rassen (unter andere beim Dalmatiner, English Setter und Australian Cattle Dog) gezeigt werden, dass gescheckte Hunde mit Farbplatten am Kopf ein geringeres Taubheitsrisiko haben als gescheckte Hunde ohne Farbplatten am Kopf.
Mittlerweile ist ein Gentest zur so genannten Piebald-Scheckung kommerziell verfügbar. Mit diesem Gentest können zwei Allele auf dem S-Locus getestet werden. Hierbei steht das Allel S für Piebald-Scheckung, das Allel N für keine Piebald-Scheckung. Man kann davon ausgehen, dass extremgescheckte Havaneser immer den Genotyp S/S haben.
Allerdings gibt es auch weniger ausgedehnt gescheckte Havaneser mit diesem Genotyp, so dass der Gentest alleine keine sichere Aussage darüber zulässt, ob ein Hund mit dem Genoty S/S ein Extremschecke oder ein Hund mit Plattenscheckung sein wird. Ebenso wenig ist der Gentest ein Indikator für Taubheit.
Auf jeden Fall lautet die Empfehlung, keine extrem gescheckten Hunde miteinander zu verpaaren. Auf gar keinen Fall sollte man auf Weißscheckung ohne Farbplatten am Kopf selektieren.
Es gibt übrigens auch Hinweise darauf, dass sich die Extremscheckung und der Merle-Faktor in ihrer Schadwirkung verstärken – auch hier ist also bei der Zucht mit dem Merle-Faktor Vorsicht geboten.
Blauverdünnung (Dilution) und CMA
Bei der Blauverdünnung (Dilution) handelt es sich um das Allel d des D-Locus, das reinerbiger Konstellation (d/d) dazu führt, dass die Pigmentkörnchen in den Pigmentzellen verklumpen und dadurch einen verdünnten (dilute) Farbeindruck hervorrufen (schwarz wird zu blau, braun wird zu lilac und gelb wird zu einem aschfahl). Es kann passieren, dass die
verklumpten Pigmentkörnchen beim Transport aus der Pigmentzelle ins Haar die Haarbälge „verstopfen“ und dadurch zu Haarausfall und Entzündungen der Haarbälge führen. Diese Erkrankung nennt man „Colour Mutant Alopecia“ (CMA). Solch eine Erkrankung ist nicht heilbar, man kann lediglich die Hautentzündung durch entsprechende antibakterielle und
entzündungshemmende Medikamente in Schach halten. Der Haarausfall ist irreversibel. Es gibt durchaus Rassen, in denen es gesunde dilute Hunde gibt (etwa die Deutsche Dogge, auch der Weimaraner). Bei anderen Rassen wiederum ist der Prozentsatz von dilute Hund mit CMA so hoch, dass dieser Farbschlag aus dem Rassestandard verbannt wurde (etwa beim
Dobermann).
Ob ein Hund mit Farbverdünnungsfaktor an der CMA erkranken wird, läßt sich leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersagen. Es gibt zwar einen Gentest auf den D-Locus, aber (noch) keinen Gentest, der zwischen „gesund dilute“ und „krank dilute“ unterscheidet.
Fazit
Derzeit ist es leider noch nicht möglich, eine Vorhersage per Gentest zu treffen, ob ein Hund mit Weißscheckung taub ist bzw. Taubheit vererbt oder ob ein dilute Hund an CMA erkranken wird.
Die Empfehlung lautet daher, nicht auf Extremscheckung ohne Farbplatten am Kopf zu selektieren.
Bei der Dilution wäre die Empfehlung, nur verdünnte Tiere zur Zucht zu verwenden, die keinerlei Probleme mit dem Fell zeigen, solange es keinen Gentest gibt, der zwischen „gesund dilute“ und „krank dilute“ unterscheidet.
Beim Havaneser gibt es eine große und schöne Farbpalette, so dass man nicht mit den drei „Risikofarben“ Extremscheckung, Dilute und Merle züchten muss. Wer sich dennoch dafür entscheidet, sollte das Risiko kennen und sich entsprechend verantwortungsvoll verhalten.
Für Informationen und Rückfragen rund um Fellfarben und Genetik:
www.laboklin.de
www.labogen.de
labogen@laboklin.de
Link zum Webshop:
https://shop.labogen.com/
© Dr. Anna Laukner 2016